Wöchentliches Angebot Café Kinderwagen ohne Hebammen nicht denkbar

Dieser Betrag wurde in der Glocke vom 26.04.2014 veröffentlicht:

Beelen (gl). Vorsichtig legt Hebamme Katharina Bonkamp den Säugling auf die Waage. Zufrieden nickt sie der Mutter zu, das Baby hat Normalgewicht. Das Wiegen des Nachwuchses gehört zum wöchentlichen Angebot im „Café Kinderwagen“. Eine Einrichtung, die von den Verhandlungen um die Haftpflichtversicherungen für Hebammen gefährdet sein könnte.

Seit mehreren Monaten kämpfen deutschlandweit Hebammen darum, dass die Haftpflichtprämien für Freiberuflerinnen nicht ins Unermessliche ansteigen. In den vergangenen Jahren sind diese Beitragssätze förmlich explodiert. Vor einigen Tagen konnte sich mit den Versicherern auf einen jährlichen Beitrag von 6363 Euro für Hebammen mit Geburtshilfe sowie auf 601 für Freiberuflerinnen ohne Geburtshilfe geeinigt werden. Zufrieden stimmt das die Beelener Hebamme Katharina Bonkamp jedoch nicht: „Nächstes Jahr wird wieder verhandelt. Das ist doch ein Sterben auf Raten.“

Die freiberufliche Hebamme Katharina Bonkamp betreut u.a. das "Café Kinderwagen" in Beelen.Schon 2006, als die Beelenerin ihre Ausbildung zur Hebamme in Ahlen aufgenommen hat, hat sie zusammen mit Kolleginnen für eine gerechtere Entlohnung sowie eine angemessene Haftpflichtversicherungsprämie demonstriert. Genutzt hat es bislang nicht viel. „Wir haben nicht solch eine Lobby und nicht die Macht wie unter anderem Piloten der Lufthansa, die mit einem Streik den gesamten Flugverkehr lahmlegen können“, weiß die 28-Jährige, die selbst Mutter ist. Resigniert hat sie deshalb nicht, aber: „Würde ich nicht eine Familie haben, die mich unterstützt, könnte ich als Hebamme finanziell nicht über die Runden kommen.“

Viele ihrer Kolleginnen, vor allem im Bielefelder Raum, hätten bereits ihren Job an den Nagel gehängt. Die Folge: Junge Mütter suchten händeringend nach einer Geburtshelferin in der Umgebung, Angebote wie Vor- und Nachsorgeuntersuchungen, die bislang von Hebammen durchgeführt wurden, fallen weg. Darunter könnten auch bald die „Café Kinderwagen“ im Kreisgebiet sein.

Der wöchentliche Treff wird in Beelen gut angenommen, erklärt Katharina Bonkamp. Immer mittwochs treffen sich Mütter mit Kindern im ehemaligen Lehrerzimmer der VGS, um sich auszutauschen, mit dem Nachwuchs zu spielen und die Babys wiegen zu lassen. Unter anderem auch deshalb, weil der Betreuungszeitraum der Hebammen acht Wochen nach der Geburt beträgt. „Danach ist Schluss“, weiß die Beelener Geburtshelferin. „Weil immer eine Hebamme vor Ort ist, können Mütter nach dem Betreuungszeitraum medizinische Fragen stellen, sich über Beikost und Entwicklungsstadien erkundigen“, sagt Katharina Bonkamp.

Förderbedürftige Kinder sind teurer als tote

Beelen (jus). Bei einem Hausbesuch werden die Hebammen für genau 20 Minuten von den Krankenkassen bezahlt. „Wenn ich Mutter und Kind genau betrachten will, reicht dieser Zeitraum bei Weitem nicht aus. In der Regel benötige ich 40 bis 50 Minuten pro Hausbesuch“, weiß Katharina Bonkamp aus Erfahrung. Oftmals werden Probleme erst in ausführlichen Gesprächen deutlich, etwaige Depressionen von Müttern könnten nicht in solch kurzer Zeit erkannt werden.

Für die vorgegebenen 20 Minuten erhalten Hebammen 31,28 Euro von den Krankenkassen. Für eine Hausgeburt werden 563,25 Euro fällig, natürlich handelt es sich dabei um Bruttopreise. „Es ist ein einfaches Rechenspiel, um herauszufinden, wie viele Frauen wir besuchen müssen, um die Haftpflichtprämie zu erwirtschaften“, sagt Katharina Bonkamp. Der demografische Wandel ist in dieser Rechnung noch nicht berücksichtigt.

Warum die Haftpflichtversicherung, ohne die eine Hebamme ihren Beruf nicht ausüben darf, so in die Höhe geschnellt ist, liegt für die Beelenerin auf der Hand: „Statistisch gesehen werden weniger Schadensfälle gemeldet. Wenn es dennoch dazu kommt, haben Kinder heutzutage eine höhere Überlebenschance als noch vor einigen Jahren. Die Folgekosten für die Förderung dieser Kinder liegen für die Krankenkassen jedoch höher, als wäre das Baby bei der Geburt gestorben.“ Im Klartext heißt das also: Ein Kind mit Förderbedarf ist für die Kassen teurer als ein totes. „In der Häufigkeit sind es die Krankenkassen, die eine Hebamme nach einem Schadensfall verklagen“, sagt Bonkamp. „Schließlich wollen die ihr Geld zurück.“

Hintergrund

In Deutschland gibt es rund 21 000 Hebammen. 60 Prozent von ihnen arbeiten nach Angaben des Deutschen Hebammenverbands (DHV) freiberuflich. Die Freiberufler sind etwa als Beleghebammen in Krankenhäusern und in Geburtshäusern tätig oder betreuen Hausgeburten. Laut DHV werden mehr als 20 Prozent aller Geburten in Krankenhäusern in Deutschland von Beleghebammen betreut. Die Mehrheit der Freiberufler bietet aber keine Geburtshilfe mehr an, sondern kümmert sich allein um die Schwangerschaftsvorsorge sowie die Wochenbettbetreuung. Laut einer Studie im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums haben zwischen 2008 und 2010 rund 25 Prozent der freiberuflich in der Geburtshilfe tätigen Hebammen die Geburtshilfe aufgegeben.

Hintergrund für den Anstieg der Berufshaftpflichtversicherung ist der Ausstieg der Nürnberger Versicherung zum 1. Juli 2015 aus den beiden noch verbliebenen Versicherungskonsortien für freiberufliche Hebammen, was den gesamten Haftpflichtschutz gefährdet. (spr)